LILO RINKENS – APERTURA – Vom Auftauchen und Verschwinden
„Erstaunliche Bewegungen sind das jedenfalls, entlang einer unsichtbaren Raum-Zeitschiene, so kommt es mir vor“ schreibt Rosemarie Gropp in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung anläßlich einer Ausstellung von Lilo Rinkens in Wien.
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„In einem Buch über die japanische Mentalität habe ich folgende Sätze gelesen:
Alle Paradoxe des Zen verweisen auf eine ‚Leere‘, die für uns (also für uns Europäer) nichts anderes zu sein scheint als die Abwesenheit von Inhalt. Für den Japaner gilt sie als die Beste innere Einstellung. So wie die Realität dieses Raumes weder in seiner Decke noch in seinen Wänden zu finden ist, sondern in dem leeren Raum, ist auch des Vakuum des Geistes sein wahres Wesen. Wer sich geistig völlig ausleeren könnte, wäre Herr aller Situationen, alles könnte ungehemmt seinen Geist durchdringen.
Tatsächlich haben Japaner – geübt in der Kunst der Meditation – auf die Arbeiten von Lilo Rinkens mit einem Vergnügen reagiert wie wir Europäer sonst nur auf gut gemachte Komödien.
Nichts wollen, vor allem: nichts verstehen wollen, und wenn doch, nicht mit dem Verstand, sondern mit Intuition, der nobelsten Art des Verstehens.
Vielleicht hilft es, sich diesem Verständnis, soweit es uns möglich ist, anzunähern, für einen Moment sich zu erheben über private Gefühle, persönliche Beziehungen und die Eitelkeiten des Lebens.
Man darf, um den Glück seiner Seele willen, niemals in Eile sein.
Das wahre Wesen der Dinge offenbart sich erst, nachdem man eiben Zustand völliger Leere durchlaufen hat.
Der älteste der Japaner, ein Buddhist, sagte, nachdem er den Film „oh darling“ gesehen hatte, etwas für Lilo Rinkens sehr überraschendes, er habe, sagte er mit einem Lächeln und einer Verbeugung vor ihr, den besten Pornofilm seines Lebens gesehen.
Weder schaffen wir es, auf die Schnelle zum Japaner zu werden – und noch weniger zum Buddhisten -, aber machen wir, während wir hier sind, den ersten Atemzug auf dem Weg dorthin.“
Wolf Wondratschek
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Wenn wenig zu sehen ist, bin ich am glücklichsten – Künstlerporträt Lilo Rinkens
Das Künstlergespräch mit Lilo Rinkens führte Frau Dr. Heike Hagemann
Die 1946 in Altenburg geborene Künstlerin studierte als Privatschülerin von 1977 bis 1979 Bildhauerei bei Marianne Rousselle (1977-1979), sowie bei Lothar Fischer (1983-1988). Von 1988 bis 1989 war sie die Schülerin des bekannten italienischen Malers Emilio Vedova. Neben regelmäßigen Ausstellungen in Galerien, u.a. in der Galerie Trampler in München, hat die Künstlerin an zahlreichen Publikationen mitgearbeitet, u.a. die „Kellybriefe“ mit Wolf Wondratschek. Das Gespräch mit der Künstlerin fand am 27. Mai 2015 in ihrem Münchner Atelier statt.
HH: Wann haben Sie mit Ihrer Kunst begonnen? Gab es einen konkreten Anlass?
LR: Ich habe schon als Schülerin gezeichnet, bin häufig ins Museum gegangen. Richtig begonnen habe ich mit 30 Jahren, da hatte ich schon Familie. Ich habe mich an der Akademie angemeldet, das hat mich jedoch nicht weitergebracht. Daraufhin habe ich mir meine Lehrer selbst ausgesucht.
HH: Wie kamen Sie zur Bildhauerei?
LR: Zur Bildhauerei kam ich eher zufällig durch meine erste Lehrerin, der Bildhauerin Marianne Rousselle, die mir aber sagte: „und wenn es nicht die Bildhauerei ist, dann ist es etwas anderes“. Das gab mir die Freiheit nicht an Plänen festzuhalten und war für meine Zukunft sehr wesentlich bis heute Bei ihr war ich etwa vier Jahre und habe mir die bildhauerischen Techniken angeeignet, um in Stein, Holz und Bronze zu arbeiten. Ich erinnere mich an einen Krisentag, da hatte ich bereits viele Skulpturen hergestellt und verkauft , die letzte Serie waren riesige, bemalte Styroporskulpturen die in meinem Atelier standen. Ich habe die Skulpturen in einem Anfall kaputtgemacht, zersägt, zerschlagen. Heute kann ich im Rückblick sagen: Das war Zuviel an Material, hat mich geistig und körperlich gebunden. Nicht mein Weg.
HH: Leitete die Krise den Übergang zur Malerei ein?
LR: Mein nächster Lehrer war Lothar Fischer. Ihm habe ich auch bei seinen Arbeiten in der Gießerei geholfen. Ich habe jedoch bald gemerkt, dass ich mich der Fläche zuwenden muss. Wenn ich irgendwo gesessen bin und Dinge beobachtet habe, habe ich gespürt, dass ich das, was mich berührt nicht in Materie fassen kann. Emilio Vedova war zu jener Zeit in Salzburg, er wurde mein nächster Lehrer. Ich war einer seiner bevorzugten Schüler, wir haben auch privat Kontakt gehalten. Ich begann mit dem gleichen Temperament wie er zu malen: es war eine sehr exzessive Malerei: wild, gestisch, hemmungslos und wütend. Der nächste Wendepunkt kam, als ich ein sehr puristisches Gemälde im Großformat erstellte, und er den anderen Schülern sagte: „Diese Frau arbeitet über das Nichts, das Nada“. Aber er hat mich, wie ma sagt „erkannt“.Diese Arbeit war weit weg von meinem Künstlerischen Vorbild, Vedova. Der entscheidende Schritt zu meinem eigentlichen Werk.
Das war mir damals nicht bewusst – das Gemälde beinhaltete wenig Farbe, es hatte einen zeichnerischen, keinen malerischen Charakter – meine Arbeit hat sich seither immer mehr reduziert. Wenn wenig zu sehen ist, nur Luft und Gedanken, dann bin ich am glücklichsten. Da bin ich heute.
HH: Gibt es in Ihren Bildern eine besondere Beziehung zu Raum, Zeit und Bewegung?
LR: Ja, eine sehr starke Beziehung. Allein schon durch den Seriencharakter. Als ich anfing, meine Bilder zu entleeren, habe ich schriftartige Linien gemalt, die nicht leserlich waren; sie sind auch in den Kelly-Briefen enthalten (Kelly-Briefe: Wolf Wondratschek/Lilo Rinkens, 1988). Diese Schrift habe ich weiter verflacht, bis sie zur Linie wurde. Da begann meine eigentliche Forschung : weg von der reinen Emotion. Ich habe die Linie nicht mehr wie in den Kelly-Briefen gesetzt, als Ausdruck meiner Befindlichkeit. Es ging mir um die Untersuchung der Linie an sich . Bewußt habe ich die Linie einzeln, in die Mitte des großen Formats gesetzt ich habe den Rand nicht berührt, keine Kompostion sollte ablenken, Horizont oder Ähnliches bilden, so daß es nur noch um die Linie ging.
HH: Schrift impliziert ja auch einen Inhalt, dann wird diese immer flacher bis sie nur noch eine Linie ist und nicht mehr Inhalt, warum?
LR: Dort befinde ich mich auf die natürlichste Weise im Zentrum meines Naturells, meines Wesens. Ich wurde die Person die alles Überflüssige stört und in der Reduzierung zum BEINAHE –NICHTS am stärksten in die Nähe des Essenziellen gelangen kann.
HH: Wie meinen Sie das, dass es Sie nicht mehr interessiert hat, wie es Ihnen geht?
LR: Ich bin habe den Selbstausdruck verlassen. Ich habe mich für das Andere interessiert: Was ist das, was ich da sehe? Was macht das Andere? Welche Gesetze gibt es in der Natur? Ist das was ich sehe allein, wie ändert es sich wenn es mit anderem gemeinsam auftritt? Vibriert es, ist es intellektuell, ist es zurückhaltend, ist es suchend? Das kann ich am besten formulieren, wenn ich so viel wie möglich weglasse. Wenn nur noch eines da ist, z.B. ein Punkt ergeben sich Fragen: birgt es etwas von allem anderen in sich? Auf das Leben bezogen: hat ein Mensch alles andere in sich: ist er auch ein Blatt, ein Atom, ein fühlendes Wesen? Sobald ein zweiter Punkt dazu kommt, mit dem der erste eine bestimmte Ordnung bildet, kommen weitere Überlegungen dazu. Wenn ich Reihen von Punkten darstelle, so wirken sie manchmal als würden sie sich ordnen oder vielleicht gerade auseinanderfallen. Insofern hat es auch etwas mit Zeit zu tun. Zeit ist immer impliziert, selbst in einem einzigen Punkt: es gibt vielleicht ein vorher, ist der Punkt gleich weg? Wird er größer oder werden es mehrere? Das sind Untersuchungen, wie in der Wissenschaft: Erkenntnis durch Ausschluß, Variation, arbeiten mit Serie, Vergleich von Bedingungen.
HH: Dann weist der Punkt auf die Möglichkeiten hin, die ihm innestehen?
LR: Wenn nur ein Punkt da ist, dann hat er eine gewisse Vibration an sich, er hat auch etwas Handschriftliches, einen Charakter – er hat eine Entwicklung vor sich oder hinter sich. Wenn der Betrachter sich darauf einlässt, kann er dies auch spüren.
HH: Und das hängt dann mit Bewegung zusammen, da er Bewegung impliziert.
LR: Genau. Manche Punkte deuten eine Bewegungsrichtung an, man ahnt vielleicht, wo sie hingehen oder woher sie kommen.
HH: In welcher Werkphase befinden Sie sich jetzt und was inspiriert Sie?
LR: Jetzt geht es vom Punkt wieder in die Fülle. Einatmen – Ausatmen. Ich kann nicht immer in der äußersten Strenge verweilen und leere Wiederholungen vollführen. Aber die immer bleibende stille Vision ist das Karge, das so reich ist. Der Punkt interessiert mich nach wie vor, er ist wie ein Atom, das letzte Element, eine Zelle, die alles in sich birgt.
Vor meiner jetzigen Bilderreihe habe ich die Musik der Komponistin Galina Iwanowna Ustwolskaja gehört; ihre Musik ist sehr konsequent und streng, von unglaublicher Rigorosität. Sie hat mich zu dieser Serie animiert – sie heißt: ‚Letters for Ustwolskaja’. Zudem inspirieren mich die Werke von Menschen denen ich mich geschwisterlich verbunden fühle: sei es Musik, Literatur, Malerei.
HH: Die Strenge der Lieder werden aufgebrochen durch Ihre Kunst.
LR: Ich glaube, dass dieser Aspekt auch in der Musik von Ustwolskaja enthalten ist. Die Emotion ist immer da, die Unwägbarkeiten, die kleinen oder großen Katastrophen. Ich habe versucht, keine absichtliche Emotion hineinzulegen und habe ihr Entstehen beobachtet. Sie enthalten Vibration des Atems, es ließ sich nicht vermeiden und will ich nicht vermeiden, die Arbeit jedes Künstlers ist daraus entstanden , daß er ein Lebewesen ist und sich auf dieser Erde bewegt
HH: Wie fügen sich die Filme in Ihre Werkgruppe ein?
LR: Das hängt immer noch mit dem Punkt zusammen : der wird immer das Hauptthema sein; er kann nur nicht wieder und wieder formuliert werden. Diese Abschied war für mich ein Verlust: Was gibt es danach für mich noch zu sagen? Ich habe viel fotografiert, um mich wegen dieses Verlustes zu trösten; von da zum Filmen war es nur noch ein kleiner Schritt. Ich habe Dinge, Stellen fotografiert, z.B. einen Lichtreflex – Stellen, die aussehen, als seien sie ein Innerstes und die sich kaum bzw. nur ganz leicht bewegen. Beim Schneiden entstand dann ein Rhythmus, den ich beeinflussen konnte. Der ultimative Film wäre der, in dem sich etwas ganz fein bewegt aber man sieht nicht, dass es sich bewegt oder man müsste ganz lange warten und näher treten. Wo ist die radikale Grenze: gibt es einen Film in dem sich nichts bewegt? Wenn man so will: fast alle meine Arbeiten kurz vor dem Abstürzen, also Nahe Null. Die Konzentration auf das geringe Angebot, das ich mir selber mache, macht mich wacher. Was ist, wenn fast nichts mehr passiert? Wie halte ich das aus?
Funktioniert ein Film ganz ohne Drama? Wenn sich die fokussierte Stelle tatsächlich nicht mehr bewegt, sagt der Film dann noch aus, was ich zu sagen habe? Ich denke für mich, dass das Grenzgebiet das Spannende ist.
HH: Welche Rolle spielen Ihre Zeichnungen?
LR: Meine Zeichnungen sind eigenständig, ich zeichne oft auf Reisen, auf Papier kann ich schneller arbeiten. Papier ist intimer, ich arbeitee über das Papier gebeugt, ich bin dem Papier viel näher als der Leinwand. Meine Zeichnungen sind Nahrungsaufnahme , Futter.
HH: Das Papier oder die Leinwand hilft, das Kondensat, das Ergebnis Ihrer Überlegungen darzustellen.
LR: Ja, ich arbeite und während des Arbeitens geht mir der Fehler in der Frage auf. Das Bild belehrt mich dann eines Besseren.
HH: Welches war eine solche ‚falsche’ Frage?
LR: Bei meinem Übergang von der Linie zum Punkt bin ich davon ausgegangen, dass die Linie, wenn sie nur noch ein Minimum ihrer selbst ist, ein Punkt wird,noch ruhiger sein wird, zurückgenommener, zurückgezogen… Ich habe daran gearbeitet und recht schnell gemerkt, dass der Punkt eine ganz andere Qualität hat als ich vermutete und einen gänzlich anderen Charakter hat: er ist aggressiv. Das hat mir erst das Bild gesagt; ich hatte vorher also die falsche Frage. Sie war theoretisch, deswegen brauche ich das Arbeiten mit dem Bild. Arbeiten am Bild hilft mir beim Denken, nicht umgekehrt.
HH: Wie wäre es denn ohne Bildmaterial, sie sagten eben ‚noch’: wird ihre Kunst zur Performance?
LR: Das ist interessant, dass ich ‚noch’ gesagt habe, das ist mir gar nicht aufgefallen. Performance glaube ich nicht. Ich denke manchmal darüber nach, ob ich die Kunst bleiben lassen will, aber es geht nicht. Das was ich im Atelier erlebe, kann ich nur erleben, indem ich es tue. Es ist meine Art, mir geistige Nahrung zu verschaffen oder mir über Gefühle klar zu werden und zu Erkenntnissen zu gelangen.
HH: Welche Rolle spielt München für Ihre Kunst?
LR: Wenn ich ehrlich bin, spielt München keine Rolle. Es spielt die Rolle, dass es mich in Ruhe lässt, ich in Ruhe arbeiten kann. Ich suche nicht die Szene. Ich suche nicht den Kontakt zu anderen Künstlern, allerdings mag das ein Mangel sein, aber tendenziell bin ich ein Einzelgänger.
HH: Ich denke, dass Sie durch Ihre Partnerschaft mit Wolf Wondratschek einen intensiven Austausch haben.
LR: das stimmt; wir sitzen unentwegt zusammen und unterhalten uns. Da wir sehr verschieden sind, auch vom Temperament her, aber unsere Arbeit gegenseitig respektieren, funktioniert das sehr gut. Vielleicht besser, weil er ein Schriftsteller ist. Die künstlerischen Fragen ähneln sich, die Lösungen werden aber in Verschiedenen Medien gesucht. Wondratschek kennt meine Arbeit sehr gut, er sieht ob eine Arbeit stark ist oder schwach und hat meistens recht damit‚ das ist dann der “fremde“ Blick, wenn ich vertrickt bin durch zu große Nähe zur eigenen Arbeit. Auf diese Weise erhalteich natürlich einen Austausch und die Welt draußen im Großen und Ganzen nicht.
HH: Frau Rinkens, herzlichen Dank für das Gespräch.