Daniel Göttin
Kunstforum Band 253, 2018, Zeichnen zur Zeit, S. 190
Daniel Göttin zeichnet mit Klebeband. Mit einer englischen Vokabel lässt sich sofort mediale Selbstverständlichkeit herstellen: Tapedrawing. Das Band macht, gelegentlich ließe sich auch sagen, es ‚malt’ die Linien. Diese Zeichnung findet vornehmlich im Raum statt, das ist eine installative Kunst die sich allerdings nicht aufdrängt, manchmal ist sie auf den ersten Blick gar nicht zu sehen, so haben sich die Linien in situ eingefunden, als Akzentuierung von Raum und Tiefe. Es kommt zu „Annährungen“ oder „Frames“, wobei Göttin das Band gerne an gegebenen Wandvorsprüngen, konstruktiven Rippen oder einfach nur an den architektonischen Angelpunkten entlangführt. Dann wird aus der Unterstreichung des Gegebenen, bzw. Gebauten schon mal eine Verdeutlichung von proportionalen Mängeln, die mit dem linearen Eingriff irgendwie auch repariert wird; vorläufig, denn der installative Eingriff ist oft genug temporär. „Der Raum als Raum steht im Zentrum“, sagt Konrad Tobler. Trotz der mit dieser Einschätzung einhergehenden Absolutheit erscheint ein schmaler Grat zwischen angewandter und freier Kunst als ein spannungstragendes Moment. Göttin schafft auf den ihm zur Verfügung stehenden Wänden zuweilen freie, aber letztlich definierte Flächen, die dann andere bespielen. Er nimmt Zuweisungen vor, ja er schafft Displays, um einen modernen Allerweltsbegriff zu nutzen. Regiert er den Raum oder reagiert er auf den Raum? Der nur mit wenigen Strichen gefüllte Ort einer solchen Zuweisung, gibt sich gleichzeitig selbstbewusst autonom. „There must be an easy way“, sagt kurz vor seinem Tod Fred Sandback im Gespräch zu Daniel Göttin. Der Amerikaner trifft damit auch einen Kerngedanken des Schweizers. Es geht um unverstellte, essentielle Lösungen mit hohem Eigenwert. Und: Das Einfache ist schön! Seine linearen Interventionen haben dabei das Zeug zu selbstständigen Wandzeichnungen, die als starke Bilder auftreten, mit anmutigen Teilungen im Dialog mit den sprechenden Größenverhältnissen, die meistens nicht errechnet werden, sondern immer gefühlt, wenn man so will, intuitiv gezeichnet daherkommen.
Neben den orthogonalen Arbeiten, die ihn seit seiner späten Zeit in der Akademie beschäftigen, gibt es seit 2000 die Networks, lineare Netzstrukturen aus Vierecken und Fünfecken, die so frei und windschief wuchern, wie sie sich ergeben. Auch sechseckige Zwischenglieder gibt es. Zu sehen ist ein großzügiges Krakelee, das Wände und ganze Räume füllt, sich gleichzeitig respektvoll an architektonischen und vom Künstler gesetzten Vorgaben orientiert. Die gelegentlich technisch-mathematische Anmutung, die den Betrachter auch mit dem Gefühl der Selbstverständlichkeit versorgen kann, täuscht. Den Computer braucht er primär zur Dokumentation seines Werks. Es herrscht freilich eine angeborene Präzision vor. Dass Göttin vor dem Kunststudium eine Ausbildung als technischer Zeichner genoss, ist durchaus spürbar. Diese Strukturen wachsen von einem gewählten Anfang ausgehend, sie werden in den Raum geschrieben. „Erst das, dann das, dann, das“, sagt (sinngemäß) Daniel Göttin. Kein Feld ist wie das andere, es gibt keinen Rapport, keine Linie läuft durch, an jedem Knotenpunkt ergibt sich ein Richtungswechsel und sei er noch so gering. Außerdem hinterlegt Göttin diese organischen Gebilde manchmal mit gegenläufig-gleichlaufenden, mit andersfarbigen Parallelnetzen, er verstärkt die Grundstruktur oder er durchschneidet die Zellen durch weitläufige Gitter. Diese Networks, von denen es mittlerweile 58 gibt, haben sich mit der Zeit zu einer Art Labor für das Formenrepertoire des Künstlers entwickelt. Ein immer wieder variiertes Kreuzobjekt verdankt sich den Knotenpunkten der Netze, aus den unregelmäßigen Feldern entwickeln sich dreidimensionale Körper, die auch schon mal aus den Wandzeichnungen herausragen. Der Bildhauer ist partiell Produkt dieser Netze und umgekehrt. Mit zur Konkretion dieser Arbeit, gehört der Einsatz von Farbe, Göttin malt nicht nur mit dem Klebeband, sondern immer mal wieder im traditionellen Sinne. Darüber hinaus arbeitet er gerne mit Rasenteppichfragmenten, die als heftige Farbstücke (nicht nur in Grün) auch ironische Akzente setzen.
Tapes in allen nur möglichen Erscheinungsweisen definieren und strukturieren die Handschrift des Daniel Göttin und seiner geraden wie krummen Wege. Neben den bevorzugten Textil- und Aluminiumklebebändern greift er häufig zu 5 cm breiten Transparentklebebändern, die er in den offenen Raum spannt, orthogonal geführt durch die gegebenen Orientierungs- und Haltepunkte. Das sind energische, auch empfindsame, letztlich aber eigenständige Architekturergänzungen, die auf ein bedachtsam erkundendes Publikum angewiesen sind. Wollte man in diesem besonderen Fall noch von Zeichnung reden, so könnte man von Luftlinien sprechen, die wie helle Schatten ihre präzisen Teilungen realisieren.
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Interview mit Daniel Göttin von Chris Ashley
veröffentlicht am 1. März 2006 auf MINUS SPACE, Brooklyn, New York (www.minusspace.com)
Einführung
Irgendwie scheint es mir angemessen, dass Daniel Göttins jüngste Wandarbeiten – bei denen auf eine Wand geklebte Linien aus Klebeband verwendet werden, um ein großes, dichtes Netz von sich kreuzenden Linien zu bilden – Netzwerke genannt werden. Über einen Zeitraum von zwei Monaten sprachen Daniel und ich über seine Kunst mittels elektronischer Nachrichten, die über ein komplexes Netzwerk von Tausenden von Kilometern Kabel zwischen Basel, der Schweiz und Nordkalifornien hin und her übertragen wurden. Er konnte mir abends schreiben, und ich erhielt seine Nachricht kurz darauf morgens, eine Art Zeitreise. Meine Arbeit war einfacher als Daniels – wir schrieben uns in meiner Muttersprache Englisch und nicht in seiner Muttersprache Deutsch, und ich durfte alle Fragen stellen und mich dann zurücklehnen und auf seine Antwort warten.
Während wir Fragen und Antworten hin und her schickten und auch Höflichkeiten und Beobachtungen austauschten, begann unser Gespräch damit, dass wir uns von Punkt zu Punkt mäanderten und allmählich verschiedene Bezugspunkte entwickelten. Im Laufe der Zeit wurde eine Ordnung erkannt, und das Gespräch wurde schließlich geformt und innerhalb der Grenzen des Interviewformats gehalten. Auf diese Weise reagierten wir auf eine Situation und fanden in ihr eine Form. In ähnlicher Weise erinnere ich mich daran, wie Daniel in unserer Diskussion seinen Prozess bei der Herstellung ortsspezifischer Arbeiten beschrieb, und es fällt mir auf, dass seine Arbeit auch ein Gespräch ist, das jedoch mit Materialien und Räumen stattfindet, die Zeit, verschiedene entfernte Orte, vielleicht Verhandlungen mit Bürokratien und eine flexible und offene Sprache beinhalten.
So wie Daniel in unserem Interview mit äußerster Klarheit und Nachdenklichkeit spricht, so besitzt auch seine Kunst diese Qualitäten. Aber diese Klarheit ist nicht das Ergebnis einer festen oder sich wiederholenden Position oder Strategie. Stattdessen ist seine Kunst iterativ und reagiert auf sich verändernde Bedingungen und Umgebungen. Verschiedene Aspekte seiner Arbeit, sowohl die an der Wand geschaffenen Werke als auch die für die Wand gefertigten Objekte, stehen in Beziehung zueinander, arbeiten sich ab und reflektieren sich gegenseitig. Es gibt eine Ganzheitlichkeit dessen, was Daniel als eine Einheit bezeichnet – sein Gesamtwerk.
Chris Ashley
Februar 2006
Das folgende Gespräch zwischen Daniel Göttin und Chris Ashley wurde zwischen Dezember 2005 und Februar 2006 per E-Mail auf Englisch geführt.
CA: Daniel, Ihre Arbeit lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: ortsspezifische Arbeiten und farbige oder bemalte Objekte für Wände. Die ortsspezifischen Arbeiten für Innenwände werden in der Regel mit Farbe und Klebeband hergestellt, und Sie machen auch Arbeiten für Außenwände. Sie stellen auch bemalte Objekte für die Wand aus Aluminium oder MDF her, und manchmal auch freistehende Objekte. Können Sie über den Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Kunst sprechen?
DG: Der Unterschied zwischen diesen beiden Kunstarten ist ein Unterschied in Ort und Zustand. Der Ausgangspunkt für ein ortsspezifisches Werk ist der Raum mit seinen spezifischen Eigenschaften, in dem das Werk installiert wird. Ich verwende die gegebenen Informationen (z.B. Pläne, Fotos, Skizzen), um ein Werk zu schaffen, das mit dem Raum koexistiert. Es ist eine Zusammenarbeit zwischen dem gegebenen, bereits existierenden Teil des Ortes und dem neuen Teil, den ich dem Ort hinzufüge. Die Idee besteht darin, das bereits Vorhandene mit dem Neuen zu einer Einheit in Zeit und Raum zu verbinden. Das Werk existiert nur im und gleichzeitig mit dem Raum, und beide werden gleichberechtigt zu aktiven Teilen des Kunstwerks. Es ist nicht möglich, eines von ihnen an einen anderen Ort zu verlegen – seine Existenz ist einzigartig.
Die Werke aus Aluminium, MDF und anderen Materialien sind Werke, die ich entweder im Atelier herstelle oder die ich (oder Teile davon) in einer Fabrik herstellen lasse. In vielen Fällen ist es wieder eine Zusammenarbeit, diesmal mit dem Fabrikarbeiter. Das verändert die Bedingungen. Ich brauche keinen Standort, sondern das Atelier, um die Arbeiten herzustellen, und die Anzahl und Größe der Werke sind begrenzt. Die im Atelier hergestellten Arbeiten hängen nicht von einem bestimmten Ort ab, sondern von den Bedingungen der technischen Möglichkeiten der Produktion. Sie sind beweglich, und sie können an verschiedenen Orten gezeigt werden. Da ich zwischen den beiden genannten Kunstarten wechsle, sind sie immer noch Teile einer größeren Einheit.
CA: Wie würden Sie diese umfassendere Einheit definieren, von der ich annehme, dass sie Ihr Hauptanliegen (oder Ihre Hauptanliegen) als Künstler ist, unter das Ihre gesamte Arbeit fällt?
DG: Die umfassendere Einheit ist die Sicht auf die Welt im Allgemeinen. Kunst ist ein Aspekt neben vielen anderen. Es geht um Kunst und Leben. Es geht nicht so sehr um die Kunst selbst als eine Einheit und das Leben als eine andere Einheit, die nebeneinander gesehen werden. Sie ist vielmehr eine ständige gegenseitige Beeinflussung. Kunst kann eine Art zu leben sein, und das Leben kann künstlerisch sein. Kunst ist nicht notwendigerweise nur Malerei (wie die meisten Menschen denken), oder Skulptur, oder etwas anderes im Bereich der Kunst. Für mich kann es alles sein, was ich als Kunst sehe oder definiere. Es ist ein freies Feld ohne Grenzen. Es geht um das Bewusstsein, wie jemand etwas wahrnimmt: die Welt; die Ferne; die Nähe; die Weite; das Detail.
Gewöhnlich geschieht Kunst im Kontext einer Galerie, eines Museums oder an Orten, die für Kunst vordefiniert sind. An diesen Orten wird das gezeigte Werk aufgrund des Kontextes als Kunst definiert. Es kann auch eine Herausforderung sein, Kunst an einem Ort zu machen, der nicht für Kunst definiert ist. Dann spielt Kunst auf der gleichen Ebene wie alles andere; sie verbindet sich mit dem Leben.
CA: Außer in Europa haben Sie auch in Japan und Australien einiges gezeigt. Wie sind diese Gelegenheiten zustande gekommen?
DG: Diese Möglichkeiten sind durch die universelle Sprache der Kunst, wie ich sie verstehe, entstanden: Auch als ein Zwei-Wege-System, das zwischen zwei gleichen Teilen kommuniziert, dem Bestehenden und dem Neuen, dem Bekannten und dem Unbekannten, dem Gesehenen und dem Ungesehenen.
CA: Finden Sie, dass die Arbeit an verschiedenen Orten – in verschiedenen Städten und Ländern – die Arbeit, die Sie dort produzieren, stark beeinflusst? Natürlich findet man verschiedene Materialien an verschiedenen Orten, also gibt es diesen Einfluss, aber ich frage mich, ob es noch andere Einflüsse gibt, die spezifisch für den Ort sind, an dem Sie arbeiten, z.B. Sprache, Licht, Geographie, Lebenstempo usw. Wie wirken sich diese auf ein Werk aus, das Sie vor Ort produzieren?
DG: Das Installieren und Produzieren an verschiedenen Orten hat sicherlich einen Einfluss auf meine Arbeit. Manchmal beziehe ich bewusst Aspekte der lokalen Situation in meine Arbeit ein, und manchmal wird mir der Einfluss erst später bewusst. Beim Denken und Arbeiten geht es um die Verbindung und den Bezug zum Ort, an dem ein Werk hergestellt oder installiert wird. Sich des Ortes oder der Stätte bewusst zu sein, ist Teil des Konzepts.
In Australien zum Beispiel ist das Licht so unglaublich intensiv, dass es die Farbpalette einiger meiner Werke verändert. In Marfa ist die Präsenz der Arbeiten von Donald Judd und einigen seiner Künstlerfreunde so stark und so sensibel, präzise und sorgfältig im Kontext der natürlichen Umgebung und des Alltagslebens installiert, dass sie die Wahrnehmung und das Bewusstsein für den Umgang mit Material, Proportionen und Raum schärft. In Japan hatte die Bild- und Architektursprache einen gewissen Einfluss auf ein Konzept für eine Tonbandarbeit, die ich dort ausgeführt habe. Die Arbeit stellte sich als europäisch-japanische Kombination heraus. Mein Künstleraufenthalt in New York letztes Jahr war wieder anders. Auf der einen Seite lebte und arbeitete ich am Rande von Soho und Chinatown, zwischen Ost und West, in dieser schnellen, großen Kunstmetropole des Big Business. Auf der anderen Seite hat mich die Erfahrung all der Verschwendung und all der Low-Budget-Projekte dazu gebracht, improvisierter zu arbeiten, zum Beispiel mit Kartonresten, und sogar zu fotografieren.
Da der eine Ort abgelegen und ruhig und der andere geschäftig, schnell und laut ist, haben verschiedene Orte unterschiedliche Auswirkungen auf meine Arbeit. Eine schöne Landschaft, ein weitläufiger Nachthimmel, der unglaubliche Ozean, freundliche Menschen, interessante Diskussionen, großartige Kunst, kulturelle Angebote, ein gutes Restaurant, eine nette Bar, eine lustige Zeit – alles ist Teil des Erlebnisses. All diese spezifischen Qualitäten unter verschiedenen Bedingungen und an jedem Ort ist eine Herausforderung für neue Arbeit. Ich passe meine Konzepte und mich selbst an die neue Situation an. Mein kultureller Hintergrund verbindet sich mit dem Hintergrund des neuen Standorts. Das macht ein ortsspezifisches Kunstwerk erst möglich.
CA: In einem Interview um die Zeit Ihres Aufenthaltes in Chinati sagten Sie: „Ich verwende normale Materialien. Sie sind nicht teuer.“ Sie sagten auch: „Ich mache keine Dinge, die andere nicht tun könnten, aber ich tue sie. Würde man diese Worte aus dem Zusammenhang reißen, könnte das Ihre Arbeit etwas gewöhnlich oder vereinfachend klingen lassen, was sie aber nicht ist. Ein wichtiger Unterschied zwischen dem Tun und Nicht-Tun von etwas Kreativem oder Bedeutungsvollem ist das „Tun“ – es tatsächlich zu tun – das Ergreifen von Maßnahmen. Wie sind Sie dazu gekommen, die von Ihnen verwendeten Materialien zu verwenden, und wie gehen Sie vor, um eine ortsspezifische Arbeit zu machen? Sie haben von „Interventionen“ gesprochen, und ich gehe davon aus, dass die Zeit – oder vielleicht auch die Zeit, die man für ein Werk aufwendet – ein Faktor dafür ist, wie ein Werk zustande kommt.
DG: Der Aufenthalt in Chinati war eine gute Gelegenheit, alltägliches Material zu verwenden, da es zu dieser Zeit im abgelegenen Marfa kein anderes (Kunst-)Material zu bekommen gab. Ich machte eine ortsspezifische Arbeit aus Material, das ich in der Stadt finden konnte, und arbeitete wiederum unter den gegebenen Bedingungen. Ich besorgte mir weiße Pappkartons (ohne Druck) vom Postamt die Straße hinunter und etwas durchsichtiges Klebeband aus einem kleinen Supermarkt, der damals Wynn’s hieß. Da die Southern Pacific Railroad die kleine Stadt vor meinem Atelier jeden Tag auf eindrucksvolle Weise teilte, machte es für mich Sinn, für die Arbeit Steine von neben den Eisenbahnschienen mit einzubeziehen. All diese Materialien befanden sich in einer Entfernung von einer Meile – ich habe sie nur für ein temporäres Kunstwerk mitgebracht. Normales, alltägliches Material bedeutet Material, das nur in seinem üblichen Kontext gültig ist. Und Tun bedeutet, eine Idee zu materialisieren, sie in der realen Welt Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Künstleraufenthalt gibt mir die Möglichkeit, einige Zeit an einem fremden Ort zu verbringen.
Es ist interessant und herausfordernd, einen neuen Ort zu besuchen und herauszufinden, was ich tun kann, ohne einen Plan zu haben. Alles ist neu: die Menschen, denen ich begegne, der Ort, die Art zu leben und die Art, Kunst zu machen. Ich nutze die Zeit, die ich an einem neuen Ort verbringe, um ein Werk zu schaffen, das sich auf die ganze Situation und ihre Bedingungen bezieht. Das ist die Quelle, ein Punkt Null in Kombination mit meinen früheren Erfahrungen. Die Bedingungen können einen starken Einfluss auf das Werk, aber auch auf das Leben haben. Dies führt zu einer Arbeitsweise, die es mir ermöglicht, in jeder Situation Kunstwerke zu schaffen. Ich möchte Kunstwerke in jeder Grösse, aus jedem Material, an jedem Ort machen. Bedingungen können z.B. Zeit, Ort, Raum, Materialien, Sprache, Eindrücke und Geld sein.
CA: Welches sind die Kriterien, anhand derer Sie feststellen können, dass ein temporäres, ortsspezifisches Werk, das unter diesen Bedingungen (Neuheit, Fremdheit, zeitliche Begrenzung) entsteht, erfolgreich ist? Können Sie ein Beispiel für eine Wandarbeit nennen, die Sie für besonders erfolgreich hielten, und erklären, warum sie erfolgreich war?
DG: Eine temporäre Arbeit, die ich 1994 in der Schweiz gemacht habe, war eine Allover-Kassettenarbeit in einer großen Fabrik, die damals als Kulturzentrum mit Gaststudios genutzt wurde. Es war ein wunderschöner Raum, aber die Aussicht war durch viele bewegliche Wände versperrt worden, und viele Dinge lagen lange Zeit herum. Ich beschloss, alle Wände herauszunehmen, um den Raum zu leeren und den Boden zu reinigen. Dann befestigte ich horizontale Bänder aus schwarzem Klebeband an drei Außenwänden und auch horizontale Bänder aus durchsichtigem Klebeband um drei Seiten der freistehenden inneren Säulen. Der ganze Raum veränderte sich nur ein wenig, aber es war das erste Mal, dass die Besucher den Raum selbst auf eine neue Art und Weise sehen konnten, nur leicht verändert.
Eine weitere Arbeit habe ich 1998 im neu eröffneten Kunsthaus Baselland geschaffen. Es war die allererste Ausstellung dort, und ich hatte die Gelegenheit, den ganzen Kellerraum für eine einzige grosse Installation zu nutzen. Die Idee war, den Besuchern den Raum selbst vorzustellen. Ich machte ein Konzept für alle Wände und den Boden mit schwarzem Klebeband in verschiedenen Breiten, durchsichtigem Klebeband und grünem Kunstteppich.
Eine dritte Ausstellung, die ich 2001 machte, war im Haus für Konstruktive und Konkrete Kunst in Zürich (jetzt Haus Konstruktiv, an einem neuen Ort). Dieser Ort ist das Herzstück der ersten, zweiten und zeitgenössischen Generation von Schweizer Konstruktivismus und Konkrete Kunst-Max Bill, Richard Paul Lohse, Verena Loewensberg, Fritz Glarner, Camille Graeser, Hansjörg Glattfelder, Beat Zoderer und anderen. Ich beschloss, die Wände von vier Räumen in vier verschiedenen Farben zu bemalen und ein allumfassendes Netzwerk aus schwarzem Klebeband über jede der Wände zu legen. Der erste Raum wurde grün gestrichen, und ich stellte ein Le Corbusier-Sofa aus dem Büro des Museums auf einen blauen Kunstteppich. In der Ecke stand ein kleines Radio, das ein tägliches Programm spielte. Der zweite Raum war gelb gestrichen und blieb leer. Der dritte Raum war orange gestrichen und das Modell des neuen Museums stand ebenfalls auf einem blauen Teppich. Der letzte Raum war rosa gestrichen, und die Besucher hatten die Möglichkeit, auf einem Computer, der ebenfalls auf einem blauen Teppich stand, Bilder von der Renovierung des neuen Museums zu sehen.
Bei diesen drei Beispielen handelt es sich um Installationsarbeiten, die sich mit einer realen Situation, zeitlichen Faktoren sowie künstlerischen und nicht-künstlerischen Bedingungen befassen. Wenn ich sagen kann, dass jedes von ihnen erfolgreich war, dann vielleicht aufgrund der Behandlung der gesamten Situation und einer ungewöhnlichen, subtilen Verwendung von üblichen industriellen Materialien.
CA: Es gibt natürlich Präzedenzfälle für ortsspezifische Wandarbeiten. Die beiden wohl wichtigsten zeitgenössischen Persönlichkeiten, die für ihre Wandinstallationen ab etwa 1968 bekannt sind, sind Blinky Palermo und Sol Lewitt; jeder von ihnen ist für seinen Umgang mit dem Raum und seinen Arbeitsprozess bekannt, und die daraus resultierenden Arbeiten lassen sich nicht ohne weiteres als Malerei, Skulptur, Architektur oder gar Dekoration bezeichnen. 1979 fand im Museum of Contemporary Art in Chicago eine Ausstellung mit dem Titel „Wall Painting“ statt, an der Robert Ryman, Marcia Hafif, Lucio Pozzi, Richard Jackson und Robert Yasuda teilnahmen; diese Ausstellung scheint von Ihrem Ansatz abzuweichen, da sie sich in erster Linie darauf konzentrierte, die Malerei von der Leinwand an die Wand zu bringen. Gegenwärtig fertigt David Tremlett große Wandzeichnungen mit Bildern und Farben an, die von seinen Reisen inspiriert sind. Jan van der Ploeg, Ihr Zeitgenosse, fertigt Wandgemälde an, die eine konzeptuelle Grundlage haben und die, wie ich meine, mit einer pop-beeinflussten, neomodernistischen Dekoration zu flirten scheinen. Noch früher sind die Beispiele von Schwitters und El Lissitzkys „Prounen Raum“. Und natürlich gibt es auch die lange Geschichte der Fresken und Wandmalereien. Wie sehen Sie Ihre Arbeit in dieser Geschichte? Was sind einige der Anliegen, die Sie mit diesen Künstlern teilen, und was ist Ihrer Meinung nach einzigartig an Ihrem Werk?
DG: Das Anliegen, das ich mit vielen dieser Künstler teile, ist die Tatsache, dass die Wand nicht nur eine Wand ist, an der das Werk angebracht wird; sie ist gleichzeitig ein aktiver Teil und eine Unterstützung des Werks. Viele Wandarbeiten bleiben im Einklang damit, ein Gemälde an der Wand zu sein, das nicht mit dem Ort in Verbindung steht. Die Wand bleibt der Hintergrund für das Gemälde, dessen Motiv von einem anderen Ort kommt. Architektonisch-räumliche Besonderheiten und Details werden eher verborgen oder verdeckt als bewusst einbezogen. Ich sehe den einzigartigen Teil meiner Arbeit in der Gegenwart der bestehenden Wand einschließlich der Details (Türen, Schalter, Stecker, Röhren und andere Irritationen) und des Motivs zur gleichen Zeit. Das ist das, was ich als konkret bezeichnen würde. Die Art, das Werk zu lesen, ist das Lesen einer Sache. Die bestehende Wand macht das Werk sichtbar, das Werk macht die bestehende Wand sichtbar, und beides gleichzeitig zu sehen, macht das Kunstwerk sichtbar. Eines der Konzepte, das ich seit 2000 verwende, ist eine Unzahl von Klebebandlinien, die ich direkt an einer Wand oder auf dem Boden befestige, eine Linie nach der anderen. Es ist die Idee, etwas Gleiches oder Ähnliches zu tun, Schritt für Schritt, immer und immer wieder. Das Machen selbst kann monoton, repetitiv, meditativ, interessant, langweilig, wie eine alltägliche Arbeit sein. Es ist wieder tun statt nicht tun, und nach einer Weile sieht man etwas auftauchen, während die Arbeit selbst verschwindet. Die Arbeit wird unabhängig und selbstverständlich, normal wie ein Tisch, eine Tür, eine reale Sache. Der Unterschied zwischen hoch und niedrig ist verschwunden.
CA: Das Bild, das bei diesen Wandarbeiten mit Klebeband gemacht wird, ist nicht im Voraus geplant, aber man macht es vor Ort als Reaktion auf die Wand, wie man ihr begegnet.
DG: Die jüngsten Wandarbeiten (Netzwerke, seit 2000), die mit Klebeband hergestellt wurden, basieren auf einem flexiblen Konzept. Es gibt ein paar Dinge, die ich in Bezug auf den Standort plane. Das Bild ist als Ausgangspunkt grob geplant. Mit der Ausführung der Arbeiten erhalte ich zusätzliche Informationen von der Baustelle, was manchmal eine Änderung oder Anpassung erfordert. Irgendwo beginne ich mit der Arbeit, indem ich das Band direkt an der Wand befestige. Dann blockiert eine Tür, ein Fenster, eine Rohrleitung, eine Treppe usw. den Ablauf der Arbeit, und das zwingt mich, darauf zu reagieren. Dieser Einfluss kann den Rhythmus und die Richtung der Arbeit verändern. Deshalb ist das Werk direkt mit der Website verbunden. Dieses Werk wird sich von dem letzten oder nächsten Werk unterscheiden. Die Kontinuität liegt in der Ähnlichkeit und im Unterschied sowohl der Werke als auch der Seiten.
CA: Einige Ihrer Wandarbeiten bedecken eine komplette Wand von Seite zu Seite und vom Boden bis zur Decke, andere sind an der Wand gerahmt, getrennt von den Rändern. Mein anfängliches Gefühl dabei ist, dass eine bedeckte Wand zu einer umhüllenden Umgebung wird, während eine Wand, die sich nicht bis zu den Rändern einer Wand erstreckt, ein wenig wie ein Bild an der Wand gerahmt ist. Wie sehen Sie diese Unterschiede?
DG: Ja, es ist anders. Die Allover-Arbeit nutzt die ganze Größe und Architektur einer Wand oder eines Raumes. Ein gerahmtes Werk wird normalerweise auch im Verhältnis zu den Proportionen des Ortes gebaut, aber der Fokus und die visuelle Lesart sind anders. Das gerahmte Werk fokussiert den Blick innerhalb des Rahmens, wo die Wand Teil des Werkes ist, und außerhalb des Rahmens ist die Stütze. Das allumfassende Werk breitet sich in alle Richtungen aus; es gibt keinen Fokus, und die Wand ist gleichzeitig Teil des Werkes und des Trägers. In einigen Installationen kombiniere ich sowohl systemkonvergente als auch divergierende Ansichten.
CA: Benutzen Sie eine Wand so, wie Sie sie vorfinden, oder bereiten Sie die Wand vor? Ändern Sie die Farbe oder die Oberflächenbeschaffenheit?
DG: Die Qualität einer Wand oder eines Fußbodens ist Teil der Bedingungen, die ich oben erwähnt habe. Ich versuche, einen Raum so zu akzeptieren, wie er auf den ersten Blick ist. Die Qualität einer Wand ist gegeben; es gibt keinen Grund, sie zu ändern. Eine schmutzige Wand mit Flecken, Löchern oder Kratzern ist ortsspezifisch; ich schließe diese Spuren gerne mit ein. Ich mache die Erfahrung so, dass das montierte (vor allem schwarze) Klebeband die Wand als ganze Raumsituation auffrischt; Besucher denken oft, dass die Wand vorbemalt ist. Es ist nicht die Idee eines reinen Kunstwerks, das ich mache; es ist eher eine Art Zusammenarbeit zwischen dem Vorhandenen und dem Neuen. Ilya Kabakov spricht von der Gesamtinstallation, die in meinen Augen einen Sonderfall darstellt, da die Arbeit den bestehenden Raum viele Male leugnet (dunkle Räume), wie es einige der Installationsarbeiten von James Turrell in ähnlicher Weise tun. Sie führt den Betrachter weg von dem realen Raum, in dem er sich befindet. Das ist es, was ich nicht zu tun versuche.
CA: Eines der schwierigen Dinge, von denen ich glaube, dass Ihre Wandarbeiten Sie zur Konfrontation zwingen, ist das empfindliche Gleichgewicht zwischen Kunst und Dekoration, insbesondere wenn sich eine Wandarbeit in einem eher öffentlichen Raum befindet, im Gegensatz zu einem Raum, der als Kontext für Kunst erkennbar ist. Daran erinnert mich die Arbeit von Christine Mehring „Decoration and Abstraction in Blinky Palermo’s Wall Paintings“ (Grauer Raum 18, Winter 2004). Was sind Ihre Gedanken über Kunst versus Dekoration? Interessiert Sie das? Gibt es Dinge, die Sie in Ihrer Arbeit tun, um den Betrachter auf die eine oder andere Art des Sehens zu lenken?
DG: Mein Anliegen ist es, eine konkrete visuelle Identifikation für einen Ort zu schaffen, die durch ein mit dem Ort verbundenes Kunstwerk geschaffen wird, um eine Situation in der Realität heraufzubeschwören, die dort Sinn machen kann. Die Aspekte des Ortes beeinflussen das von mir entwickelte Konzept. Ich interessiere mich für ein Werk, das den Ort durch das Kunstwerk sichtbar macht, und der Ort macht gleichzeitig das Kunstwerk sichtbar. Es geht um das Bewusstsein, etwas wahrzunehmen. Es ist eine Kommunikation, ein Geben und Nehmen zwischen gleichen Teilen, die eine neue, ausgewogene Einheit schaffen. Es ist ein Zwei-Wege-System, anders als ein Ein-Wege-System oder eine nicht verbundene Idee, die auf einen so genannten neutralen Boden projiziert wird, was ich als Dekoration verstehen würde.
CA: Sie scheinen in den Wandarbeiten und den Objekten Bilder zu verwenden, die gemeinsame Aspekte haben. Vor kurzem haben Sie sowohl in den Wandarbeiten als auch in den Objekten eine, wie Sie es nennen, „Diamanten“-Form verwendet; es ist eine vierseitige Form, und manchmal sieht sie perspektivisch wie ein Quadrat aus. Auch die Objekte, die Sie wie schräge Kreuze aussehen lassen, scheinen wie Details aus den Wandarbeiten zu sein, bei denen sich zwei Linien mit Klebeband in einem Winkel kreuzen. Ist dies eine relevante Beobachtung? Ist dies für Sie eine gängige Praxis?
DG: Ja, einige Details eines Werkes können sich manchmal zu einem eigenständigen neuen Werk entwickeln. Da ich gerne mit grundlegenden und einfachen geometrischen Formen arbeite, ist das Feld begrenzt. Diese Beschränkung ermöglicht es mir, eine Sprache mit ähnlichen Formen, Mustern oder Gittern auf unterschiedliche Weise zu verwenden. Oft ist es ein Spielen und Reflektieren zwischen dem Gleichen, dem Ähnlichen und dem Verschiedenen, das Unterscheidungen sichtbar macht. Meistens arbeite ich gleichzeitig an verschiedenen Projekten. Die öffentlichen Arbeiten oder Auftragsarbeiten haben spezifische Anforderungen. Andere Werke schaffe ich ohne spezifischen Bezug zu einem Ort, aber in Verbindung zwischen verschiedenen Arten meiner Werke. Ich arbeite in einem Zwei-Wege-System, was sich in Arbeiten widerspiegelt, die auf neue Weise oder unter einem neuen Blickwinkel entstanden sind. Zwischen meinen verschiedenen Werken findet eine fruchtbare Kommunikation statt. Sie zeigt verschiedene Aspekte auf und führt dazu, dass meine Kunstwerke eine allumfassende Einheit bilden.
CA: Sie nennen die Objekte, die Sie herstellen, nicht Gemälde, richtig? Wenn Sie diese Objekte herstellen, haben Sie dann mehr Möglichkeiten als die industriellen Materialien, die Sie für die Wandinstallationen verwenden? Ich frage mich vor allem, ob Sie mehr Auswahlmöglichkeiten in Bezug auf Farbe, Untergrund und Oberfläche haben als bei den Wandarbeiten.
DG: Da mein Hintergrund näher an dreidimensionalen Arbeiten liegt – Skulptur und Architektur – als Malerei, würde ich die Werke lieber Objekte nennen, obwohl einige von ihnen der Malerei sehr nahe stehen oder sogar Gemälde sind. Viele der Werke sind gebaut oder konstruiert; sie haben eine dritte Dimension, und sie haben Farbe oder farbige Teile. Einige Werke basieren auf der Unterscheidung zwischen der Farbe des Trägers und der aufgetragenen Farbe, was mit dem oben erwähnten Beispiel über die Wand und das aufgetragene Klebeband für eine Installation zusammenhängt.
Ich arbeite nicht mit einem bestimmten Farbsystem, obwohl ich sehr oft Farbe verwende. Normalerweise trage ich Farbe flach auf die Oberfläche auf. Die Verwendung des Materials und die Art und Weise, wie ein Werk konstruiert, geformt und zusammengefügt wird, ist sehr interessant, und Farbe ist ein Faktor, den ich sehr spontan verwende. Natürlich gibt es viele Möglichkeiten, Farbe für Objekte und Gemälde zu verwenden, und vorgefertigtes, standardisiertes Industriematerial ist in Farbe und Größe sehr begrenzt. Innerhalb dieser Beschränkungen und Materialien zu arbeiten, ist eine Herausforderung; es ist mit der alltäglichen Arbeitswelt verbunden. Die gewöhnlichen Materialien und die Art und Weise, wie ein Kunstwerk hergestellt wird, verbindet es mit alltäglichen Arbeitsprozessen und -techniken.
CA: Kombinieren Sie jemals ein Objekt mit einer Wandarbeit?
DG: Manchmal kombiniere ich sie. In einigen Fällen führt die Arbeit an einem Konzept zu einer Kombination. Manche Ausstellungen oder Orte verlangen nach einer Kombination von zwei- und dreidimensionalen Arbeiten. Das Band ist flach und eher zweidimensional, und viele Objekte sind dreidimensional. Ein an der Wand montiertes Objekt erfordert eine fokussierte, detaillierte Ansicht, und eine Allover-Tonbandarbeit erfordert eine distanzierte und breite Ansicht. Auch hier handelt es sich wieder um ein Zwei-Wege-System, das gleichzeitig Unterschiede zwischen einem Objekt mit seiner eigenen Qualität an einem beliebigen Ort und dem Band, das nur an einem bestimmten Ort existiert, zeigt. Beide sind gleichwertige Teile, die zusammen mit der Wand oder dem Ort wahrgenommen werden müssen. Die gleichzeitige Verwendung vieler verschiedener Entitäten kann ein Ziel für die Zukunft sein. Ich könnte mir vorstellen, verschiedene oder sogar gegensätzliche Bewegungen in der Kunst (und im Leben) zu kombinieren – eine Kombination von z.B. Schwitters und Judd ist für mich kein wirklicher Widerspruch. Natürlich gäbe es noch viele andere interessante Möglichkeiten.
CA: Ich interessiere mich dafür, wie der Betrachter Ihre Arbeit erlebt. Die Wandarbeiten bilden eine Umgebung um den Betrachter herum, und so gibt es beim Betrachten ein Element von Zeit und Bewegung. Die Objekte sind eher statisch, eher wie Ikonen, die eine eins-zu-eins-Beziehung zum Betrachter haben, also eine Betrachtungsweise, bei der es nicht so sehr um Bewegung oder Zeit geht, sondern mehr um Stille. Betrachtet man die Bilder sowohl in den Wandarbeiten als auch in den Objekten, lassen sie sich sehr grob in zwei Gruppen einteilen: Imaes, die als feste Objekte erscheinen, und solche, die lineare Objekte sind. Das Betrachten jedes dieser Objekte ist eine sehr unterschiedliche Erfahrung. Um es ganz einfach auszudrücken, als eine Art konkretes Beispiel: Eine „Diamond“-Arbeit auf Aluminium aus dem Jahr 2004 gleicht einer Landschaft, während eines der geformten Kreuze aus MDF aus dem Jahr 2002 eine Art Figur ist. Auch die Bilder in den Wandarbeiten können diese Assoziationen hervorrufen, die dazu gehören, wie der Betrachter anfangen könnte, physisch und metaphorisch auf Ihre Arbeit zu reagieren. Welche Art von visuellen, physischen und metaphorischen Reaktionen hoffen Sie mit Ihrer Arbeit hervorzurufen?
DG: Mein Fokus liegt nicht so sehr auf den Reaktionen, die meine Arbeit hervorrufen kann. Ich verstehe die Reaktion als Ergebnis meiner Arbeit. Ich möchte ein freies Feld von Assoziationen schaffen, die zu den eigenen Schlussfolgerungen des Betrachters führen können. Etwas ist da, ohne eine Erklärung. Das Kunstwerk braucht keinen Grund zu sein – es existiert einfach, wie alles andere auf der Welt. Es ist eine realisierte Möglichkeit neben vielen anderen Möglichkeiten. Das Kunstwerk ist keine Lösung für etwas anderes; es ist etwas, über das man nachdenken kann, und es ist ein unabhängiger Begleiter. Der Betrachter erlebt das Kunstwerk unmittelbar in Echtzeit und Raum. Ich habe nicht die Absicht, Kunst zu machen, die Geheimnisse oder Sehnsüchte schafft. Meine Anliegen sind Existenz, Position, Orientierung, Material, Konstruktion, Proportion, Unterscheidung, Wiederholung, Kontemplation und Stille. Mir gefällt die Idee eines Kunstwerks, das ohne Grund Sinn macht.
Die Reaktion des Betrachters beginnt mit einer Ausstellung. Das ist der Moment, in dem das Werk des Künstlers fertig und gültig ist. Es gibt keinen Weg zurück, und es ist keine Veränderung möglich. Die Verantwortung und das Risiko für das Werk liegt auf der Seite des Künstlers. Die Reaktion des Betrachters ist der Teil, der von aussen kommt. Wie bereits erwähnt, scheinen alle Elemente auf einem Zwei-Wege-System zu beruhen. Es ist ein Dualismus.
Die Verwendung der Begriffe „Landschaft“ und „Figur“ sind für mich nicht sehr wichtig. Ich versuche, dieser Art der Kunstbetrachtung nicht zu dienen. Für mich ist es eine vorgegebene Denkweise, die für meine Arbeit unwichtig ist, da meine Arbeit räumlich orientiert und nicht gegenständlich ist. Die Begriffe „reduktiv“ und „abstrakt“ verstehe ich in ähnlicher Weise, als Ableitung von etwas anderem, das entweder mehr oder größer war. Ich bevorzuge die Begriffe „Objekt“ und „konkret“, die meiner Meinung nach dem, was meine Arbeit ist, am nächsten kommen.
Ich arbeite nicht auf ein bestimmtes Ziel hin. Ich arbeite ständig an verschiedenen Projekten, und sie beginnen alle irgendwo mitten im Nirgendwo; sie sind noch nicht definiert. Ich verstehe meinen Teil der Arbeit darin, ein Konzept zu entwickeln und die Arbeit zu realisieren, und der andere Teil der Arbeit wäre die Sicht, die Erfahrung und die Reaktion des Betrachters. Ich verstehe Kunst als eine Vorsorge für das Leben, wie Essen und Schlaf. Kunst spricht die Sinne an; sie bietet dem Betrachter ein breites Spektrum an Kontemplationsmöglichkeiten, über die er nachdenken kann, und sie kann sein Bewusstsein für die Dinge des Lebens erweitern.
Da die bildende Kunst im Grunde ein individuelles Unternehmen ist, zeigt sie vor allem eine einzige Sichtweise gegenüber der Welt. Meine Arbeit ist eine realisierte Position. Es ist Sache des Betrachters, sich einen Eindruck vom Werk zu verschaffen. Ich glaube nicht, dass Kunst notwendigerweise durch Erklärung verstanden werden muss. Sie ist eines der freien Felder, die offen gelassen werden dürfen. Menschen können die visuelle Erfahrung eines Kunstwerkes nehmen, ohne es zu besitzen. Kunst sollte nicht nur im Kunstkontext gezeigt werden, sie sollte auch an alltäglichen Orten stattfinden. Das ist ein Grund, warum ich gerne flexibel arbeite. Es gibt einen Unterschied zwischen Kunstliebhabern, die in Galerien und Museen gehen, und Kunstliebhabern, die Menschen treffen. Es ist eine universelle Sprache für alle. Meine Arbeit basiert auf einfachen Elementen wie einer Linie, einem Feld, einer geometrischen Form, die bereits in der Welt existieren. Ich verwende sie, indem ich sie in einen neuen räumlichen Kontext setze.
Es ist meine Absicht, Kunstwerke in einem konkreten Sinn zu schaffen. Konkret bedeutet für mich ein Werk, das für sich allein existiert, wie jedes andere Ding in der Welt.
CA: Etwas, das der Kunst erlaubt, ein offenes Feld zu bleiben, wie Sie es nennen, ist, dass sie nicht unbedingt eine praktische Funktion hat – sie ist nicht nützlich oder utilitaristisch in dem Sinne, an den wir denken, wenn wir diese Worte auf Alltagsgegenstände anwenden. So wie ich es verstehe, geht es bei der klassischen Definition von Konkrete Kunst, beginnend mit Van Doesburg und weiter über Max Bill und Richard Paul Lohse, nicht um Abstraktion und besitzt sicherlich keine symbolische Bedeutung, sondern es geht mehr oder weniger um eine Idee, die visuell durch Geometrie ausgedrückt wird. Ist das Ihr Ausgangspunkt?
DG: Teilweise ja, aber für mich ist das nur die Hälfte der Geschichte. Die Kunstgeschichte gibt manchmal vor, dass eine bestimmte Kunstrichtung eine vollständige Einheit ist. Die Verwendung des Begriffs „konkret“ stimmt nicht unbedingt mit dem ideologischen Hintergrund von Konkrete Kunst überein, der auch auf Vorstellungen über Gesellschaft und Politik beruhte. Mir geht es um eine Einheit, die auch Widersprüche enthalten kann – ein Ja und ein Nein und sogar ein Vielleicht. Mein Ausgangspunkt ist eine Synthese verschiedener Ansichten oder Positionen zur gleichen Zeit, was für mich eine räumliche Sichtweise ist. Sie kann offensichtlich oder subtil sein, symmetrisch oder asymmetrisch oder beides zusammen, mit oder ohne Widerspruch. Es kann Regel und Abweichung zusammen sein. Einige der früheren Arbeiten, die ich gemacht habe, waren Collagen, die mit Kurt Schwitters‘ Werk (Merz) in Verbindung stehen, jedes gefundene Material, das grob auf ein Stück Pappe geklebt wurde – physisch, direkt, improvisiert, zufällig, farbig, sogar dadaistisch. Später begann ich mich für die Minimal Art zu interessieren, wo das Kunstwerk oft präzise geplant und perfekt und klar konstruiert ist, mit einem definierten Materialeinsatz und Liebe zum Detail. Beide Strömungen sind für mich wichtig, und manchmal sehe ich in meiner Arbeit Teile von beiden, die zwischen diesen beiden kunsthistorischen Positionen korrespondieren.
CA: Was die Funktion der Kunst betrifft, die sich auf Inhalt und Bedeutung bezieht, so haben Kunstobjekte meines Erachtens durchaus Funktionen, sei es zur Beschreibung oder Darstellung oder zur Kontemplation, zur Schönheit oder zum Vergnügen oder zur Demonstration oder Artikulation eines kritischen oder philosophischen Ideals oder Modells und so weiter. Typischerweise ist dies eine visuelle Erfahrung, wenn auch nicht ausschließlich. Jede dieser Funktionen ist Teil dessen, was ein Kunstwerk „zu einem eigenständig existierenden Werk“ macht. Ist dies Teil dessen, was Sie unter einem konkreten Werk verstehen, oder beziehen Sie sich spezifischer auf physische und kontextuelle Merkmale?
DG: Das Kunstwerk als „ein aus sich selbst heraus existierendes Werk“ betont hauptsächlich seine eigene physische Existenz. Die Funktionen, die Sie oben erwähnen, sind eher Funktionen oder Richtungen für die visuelle Erfahrung und den Gebrauch des Betrachters, nicht unbedingt Funktionen der Kunstwerke. Natürlich kann die Art und Weise, wie ein Werk gebaut und in einem Kontext installiert wird, unterschiedliche visuelle Erfahrungen hervorrufen. Das Werk ist da, weil es zunächst einen Boden oder eine Wand gibt, eine räumliche Situation, die eine Position liefert. Das physische Werk existiert nicht in einem Nicht-Raum, es braucht eine Umgebung, um zu existieren. Vielleicht können Gedanken, Träume oder eine Idee in einem nicht-physischen Raum existieren, aber taucht sie nicht trotzdem in einer räumlichen Situation auf?
Ich mag ein Werk, das für sich allein zusammen mit seiner räumlichen Position existiert. Das sagt nichts über den Inhalt des Werkes selbst aus, denn die ganze Situation ist der Inhalt. Da jeder in einer räumlichen Situation lebt, kann der Betrachter dies frei erfahren. Die visuelle (und physische) Wahrnehmung ist existentiell und wichtig im Leben eines jeden Menschen. Mein Anliegen in der Kunst ist das visuelle Erleben und die Wahrnehmung im Allgemeinen: ein fokussierter Blick kombiniert mit einem weiten Blick; ein Blick von oben kombiniert mit einem Blick von unten oder von hinten; ein Blick von innen und von außen; und ein Blick aus allen verschiedenen Positionen. Ich versuche, sie gleichermaßen wieder zusammenzubringen.
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